Sein Trauma

Mein Urtrauma

Wenn ich über mein Trauma spreche, dann betrachte ich es als das Urtrauma, das sich 1993 ereignete. Ein Ereignis, das innerhalb von Sekunden alles in meinem Leben veränderte – und das bis heute wie ein Schatten in jedem Moment meines Daseins weiterlebt.

Dieses erste Trauma war der Auftakt zu weiteren Erlebnissen, die an den Wunden des Urschmerzes anknüpften und mir zeigten, wie der Mensch mit seinen inneren Narben lebt und oft ohne erkennbare Heilung weitergeht. Doch es eröffnete mir auch eine wichtige Erkenntnis: die Möglichkeit, sich bewusst dafür zu entscheiden, im Leben zu bleiben, in einem Leben voller Verlust, Härte und Entbehrungen. Selbst inmitten der Verzweiflung, kann man sich immer wieder auf den nächsten Atemzug besinnen und sich darin eine gewisse Heilkraft verschaffen, auch wenn der Schmerz niemals ganz verschwinden wird.

Die Schilderung des Vorfalls kann verstörend wirken und als Trigger für diejenigen empfunden werden, die mit eigenen Erfahrungen konfrontiert sind. Ich möchte daher ausdrücklich dazu raten, diesen Bericht nur zu lesen, wenn man sich in einem stabilen psychischen Zustand befindet oder nicht allein ist.

Ich werde in den folgenden Zeilen in Details gehen, weil nur so der ganze Schmerz und die Auswirkungen auf mein Leben verständlich werden. Aber ich muss mich dennoch auf das Wesentliche konzentrieren, da der gesamte Hintergrund dieses Urtraumas die Kapazitäten dieser Darstellung sprengen würde.


Der alles verändernde Vorfall

Es war ein gewöhnlicher Abend im Dezember, kurz vor Weihnachten. Nach einem Discothekenbesuch war der einzige Weg, nach Hause zu kommen, die Straßenbahn. Ich fühlte mich erschöpft, doch auch zufrieden von der Zeit mit meinen Freunden. Die Fahrt schien ein leiser Übergang ins Alltägliche zu werden, also suchte ich mir einen Platz nahe dem Fahrer. Ich wollte nicht einschlafen und die wichtigen Ansagen der Haltestellen verpassen. Es war eine routinemäßige Entscheidung – ein unauffälliger Moment in der Kette des Lebens.

Doch dann – ein Ruck, der alles veränderte. Am hinteren Ende der Straßenbahn erhob sich ein Streit. Es war anfangs noch nicht bedrohlich, sondern wirkte wie die typischen Lautsprechereien, die man von betrunkenen Jugendlichen kennt. Doch die Situation eskalierte rasch. Zuerst sah es so aus, als ob die Männer sich lediglich streiten würden, doch dann fingen sie an, sich zu prügeln. Ich stand auf, entschlossen, zu helfen, vielleicht zu schlichten. Es gab keine Reaktion von den anderen Passagieren, niemand schien sich einzumischen oder gar zu reagieren. Ich ging zu den Aggressoren, hielt an und versuchte, ruhig und bestimmt die Situation zu deeskalieren. "Hört auf, so macht das keinen Sinn", sagte ich. Doch der Blick eines der Männer, als er sich zu mir umdrehte, ließ keinen Zweifel: Der Schlag würde kommen, das war unausweichlich.

Tatsächlich – ich hatte mich geirrt. Die Faust prallte nicht auf mein Gesicht, sondern ich wurde zurückgelassen, als sie ihren Platz wieder einnahmen. Ich kehrte an meinen Platz zurück, nichts weiter passierte. Doch es war nur der Anfang.

Ein paar Minuten später jedoch – und die Spannung lag schwer in der Luft. Ich drehte mich um und meldete dem Fahrer erneut den Vorfall, als sich die Gewalt in einem Augenblick erneut auflud. Der Augenblick, den ich nie vergessen werde. Als ich mich nach der Meldung wieder zurückdrehte, nahm die Welt plötzlich eine andere Form an.

Im Bruchteil einer Sekunde stürmte die Faust eines der Männer auf mich zu – schneller, als ich reagieren konnte. Der erste Schlag traf mich direkt auf die Nase, das Knirschen meiner Knochen und das warme, pulsierende Blut, das sich auf meinem Gesicht sammelte, hatte etwas Abscheuliches, als ob meine Welt in einem ekelhaften Rausch zerbrach. Ich fühlte, wie mein Gesicht sich verzerrte und der Schmerz mich durchflutete, bis ich gar nichts mehr spürte.

Der Mann, der mir nun so nah war, packte mit beiden Händen meinen Hals. Ein unaufhaltsames Gefühl der Panik und des Verstehens überkam mich. Der Griff seines kalten, groben Körpers um meinen Hals ließ keinen Raum zum Atmen. Ich rang nach Luft – zäh, qualvoll. Die angeschwollene Nase machte es unmöglich, normal zu atmen, so dass ich verzweifelt durch den Mund Luft zu fassen versuchte. Jeder Atemzug, den ich versuchte zu nehmen, brannte und schmerzte, als ob mein gesamtes Inneres sich gegen mich wandte.

Das Bild dieses Gesichts, das mir in seiner Abwesenheit von Empathie so unglaublich nah war, brannte sich in meine Seele. Es war kein bloßes Gesicht mehr – es war die Manifestation eines Monsters, das in diesem Moment für mich und für alles stand, was ich in diesem Augenblick fürchtete. Der Blick in seine Augen – diese kalte, unangreifbare Leere – und der penetrante Geruch von Alkohol und billigem Deodorant sind mir immer noch lebendig, als stünde er direkt vor mir.

Die ganze Welt um mich verschwamm. Ich war vollkommen hilflos. Jede Bemühung, mich zu befreien, war vergebens, und die Aussicht auf den Tod schlich sich mit einer Geschwindigkeit und Grausamkeit heran, die mir die Luft abschnürte. Doch das, was die Situation noch unerträglicher machte, war der unheilige Genuss in den Augen des Täters. Es war, als ob er in einem perversen Akt von Lust seine Gewalt ausübte. Seine Anspannung und Freude an meiner Ohnmacht machte es umso schwerer, das Erlebte zu fassen.

Ich verlor das Bewusstsein. Doch als ich wieder zu mir kam, war das nächste Bild, das sich mir bot, das gezielte Ziel einer Pistole, die von der Polizei auf mich gerichtet war.

Mein Leben war in diesem Moment nicht nur bedroht, sondern von einer grausamen Wendung gezeichnet. Im Dezember 1993 wurde ich auf diese Weise von einem Moment auf den anderen aus meiner gewohnten Welt gerissen. Die Folgen dieser Tat wurden nie anerkannt, nie entschädigt. Sie begleiten mich bis heute.

Die Tatsache, dass nie jemand für den Einsatz, den ich in all diesen Situationen leistete, gedankt hat, wiegt schwer. Doch ich versuche, in jedem neuen Moment, der mir bleibt, meine Kraft zu finden.


Weitere traumatische Erlebnisse

Doch dies war nicht das Ende der Gewalt. Über die Jahre hinweg musste ich immer wieder mit Traumata kämpfen – und oft waren es brutale Ereignisse, die wie Geister aus der Vergangenheit zu mir zurückkehrten:

  • Zahlreiche unverschuldete und schwere Verkehrsunfälle, die mich immer wieder zurückgeworfen haben – als Insasse, als Fahrer, als Radfahrer
  • Körperverletzungen in Folge von Zivilcourage
  • Mehrfache Messerattacken mit Verletzungsfolgen
  • Ein Attentat mit Sprengstoff
  • Ein Angriff mit einer Machete durch einen Nachbarn
  • Ein Sexualdelikt mit Körperverletzung am Arbeitsplatz

Diese und weitere Ereignisse – sowie die Herausforderungen des Lebens, die von familiären Verlusten und gesellschaftlicher Ausgrenzung geprägt sind – haben tiefe, unheilbare Spuren in mir hinterlassen.



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